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Newssletter Update vom 6. November 2025

  • Autorenbild: Christoph Janssen
    Christoph Janssen
  • 5. Nov.
  • 4 Min. Lesezeit

"Keine Zeit zum Feiern..."


Gerne erzähle ich euch heute über die vergangenen drei Wochen und meine Erlebnisse und sportlichen Erfolge bei den vergangenen Rundfahrten in Wuhan, Guizhou und zuletzt Yulin.


Aber schauen wir doch kurz noch mal zurück, denn was eine Saison liegt bis jetzt hinter mir.


Ich bin mir ja mittlerweile die Aufs und Abs des Profisports gewöhnt, aber dass die Amplituden so ausarten, konnte ich mir im Januar noch nicht erträumen.


Von Überlegungen, aus dem Strassensport zurückzutreten, zu ersten Gravelerfahrungen und nun dem Sprung nach China, von diversen DNF’s (Did not Finish) in Frankreich zu meinem ersten Gelben Trikot und mehreren Podien. Kurz gesagt: eine richtige Achterbahnfahrt.


Jetzt sitze ich gerade im Teamhaus nahe Kunming und reflektiere über die letzten zwei Monate. Krass, schon zwei Monate bin ich in diesem fremden, unendlichen Land.


Zwei Monate, die mir wie zwei Wochen vorkommen, so vieles ist passiert; nie wusste ich, was in der nächsten Woche passieren würde. Ich fand neue Freunde, verlor diese wieder, kommunizierte in Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Deutsch und tatsächlich auch etwas Chinesisch.


Jetzt endlich habe ich die Zeit, wieder etwas herunterzukommen, einige Tage durchzuschnaufen, mich von den Strapazen der letzten Rundfahrten zu erholen und mich dann auf die letzten sechs Renntage im Dezember vorzubereiten.


Besagte Rundfahrten liefen echt richtig gut. Als Mannschaft konnten wir Topleistungen erbringen, aber vor allem fand ich für mich selber endlich das Selbstvertrauen, die Leidensfähigkeit und taktische Intelligenz, um erfolgreich Rennen zu fahren.


Wobei ich mir das alles Stück für Stück über die letzten Monate erarbeiten musste.


Als ich nach China kam, fokussierte ich mich vor allem darauf, meinen Teamkameraden bestmöglich unter die Arme zu greifen und einen guten Job als Flaschenträger zu leisten. Dank meinem ersten Podium in Poyang und der darauf folgenden Top-10-Platzierung im Einzelzeitfahren leckte ich erstmals Blut und merkte, dass ich bei diesen Rennen tatsächlich etwas bewirken kann.


Die breiten Strassen, die Steigungen, die stets im Grossen Blatt (56 Zähne) gefahren werden können, das unkontrollierte und impulsive Renngeschehen mit unzähligen Angriffen und hohen Durchschnittsgeschwindigkeiten (eine Etappe fuhren wir mit 54 km/h Schnitt) entspricht meinem Fahrertyp enorm.


Bei der Tour of Guizhou sollte ich eine erste Gelegenheit bekommen, dies zu beweisen. Unter strömendem Regen und etwas über 10 Grad fand ich mich nach etlichen Attacken in der Spitzengruppe wieder. Viel zu ungeduldig verschwendete ich meine Kräfte aber unnötig, attackierte im Finale mehrmals, nur um im finalen Sprint um einige Meter geschlagen auf dem 4. Platz zu landen.


Egal, eine neue Lektion erlernt. Am 4. Tag stand die Königsetappe auf dem Programm, mit einem einigermassen steilen 20-minütigen Anstieg. Mir war bewusst, dass ich die Steigung nicht mit den besten Bergspezialisten mithalten kann. Entsprechend war der Plan, die 80 Kilometer Fläche vor dem Berg auszunutzen, um mit etwas Vorsprung die Steigung anzugreifen.


Die anderen GC-Fahrer noch etwas müde vom frühen start (stets 8:30 Uhr), was ich direkt ausnutzte. Ich folgte der Startattacke und setzte bei leichtem Rückenwind und in Nähe des filmenden Motorrades nach.


So ging der Plan und die Lücke auf; mit einer 6-köpfigen Gruppe erarbeiteten wir uns etwas über eine Minute Vorsprung. Dieser reichte, um mit der aufschliessenden Spitzengruppe über den Gipfel zu kommen und mir somit den 2. Rang im Gesamtklassement zu sichern.


Leider verschlief ich schon wieder den Sprint und somit auch den Gesamtsieg durch lediglich einige Bonussekunden.


Egal, nach dem Rennen war vor dem Rennen. In Wuhan war das Ganze etwas einfacher. Es galt, zwei Runden auf einem 65 Kilometer Wellblech-Parcours zu absolvieren, das Ganze bei erneut strömendem Regen und 8 Grad.


Nach etlichen Attacken fand ich mich in der zweiten Rennhälfte auch hier in der entscheidenden Gruppe. Leider stand ein steiler 5-Minuten-Berg zwischen mir und dem Ziel. Ich wusste, um zu gewinnen, muss ich den Unterschied vorher herausfahren. So setzte ich alles auf eine Karte und attackierte auf rollendem Terrain knapp 20 Kilometer vor dem Anstieg und 40 vor Ziel.


Ein anderer Fahrer passte auf und folgte, so fuhren wir zu zweit, komplett am Anschlag und entschieden die Etappe mit schlussendlich knapp 20 Sekunden Vorsprung.


So taktisch klug ich dieses Rennen auch gefahren war, im Sprint war ich dann doch wieder der Geschlagene. Trotzdem: der 2. Platz auf der anspruchsvollen Etappe und somit auch Zweiter im GC war erneut ein willkommenes Resultat.



Im letzten Rennen in Yulin fanden wir uns dann erstmal in einer ungewohnten Situation. Die letzten Rennen, vor allem besetzt mit internationalen Teams und Fahrern, wurden durch ein fast ausschliesslich chinesisches Feld ersetzt. So war klar, dass unser Team als Favorit galt und entsprechend belauert wurde.


Dieser Rolle wurden wir durch taktisch kluges Teamwork auch gerecht und konnten sowohl im GC als auch in den Tageswertungen starke Resultate erzielen.


Besonders stolz bin ich aber auf die 2. Etappe: Nach einem hektischen Start und vielen Attacken folgte ich im richtigen Moment einer Gruppe, die sich absetzen konnte. Meine Mitstreiter überzogen ihre Kräfte aber in den ersten 5 Kilometern derart, dass sie aus meinem Windschatten flogen und ins Feld zurückfielen.


So nahm ich die verbleibenden 85 Kilometer alleine in Angriff, verfolgt vom Feld und den verschiedenen Teams, die auf der flachen Route auf den Sprint abzielten. Ich setzte mir mental immer wieder neue Ziele, noch 5 Kilometer, dann nochmal 5, dann bis zum nächsten Zwischensprint und dann waren es ja nur noch 18 Kilometer ins Ziel.


Tatsächlich gelang es mir, die Verfolger in Schach zu halten und mit etwas über 48 km/h Schnitt das Rennen und die Gesamtwertung für mich zu entscheiden.


Zeit zum Feiern blieb aber keine. Trotz drei Etappengewinnen, Sieg in der Gesamtwertung, Sieg in der Berg- und Sprintwertung wurden wir nach Zieleinfahrt arg beschimpft. Denn leider verloren wir am letzten Tag die Führung in der Wertung des besten chinesischen Fahrers, wobei Wang nun „nur“ noch den zweiten Platz belegte. Von diesem kolossalen Fehltritt und der entsprechend schlechten Stimmung im Management liessen wir es uns aber nicht nehmen, unseren Erfolg und den zwischenzeitlichen Abschluss unserer gemeinsamen Zeit mit einigen „geliehenen“ Flaschen Champagner zu begiessen.


In diesem Sinne Gruäss u bis gly




 
 
 

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