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Newsletter Update vom 25. Oktober 2025

  • Autorenbild: Christoph Janssen
    Christoph Janssen
  • 21. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 21. Nov.

Die Schattenseite des Ruhms


Ganz kurz zusammengefasst waren die letzten Tage sportlich gesehen äusserst erfolgreich. Neben einem zweiten Platz im Gesamtklassement der Guizhou Tour, dem Sieg in der Teamwertung sowie der letzten Etappe durch meinen Teamkollegen und dem direkten Anschluss hier in Wuhan mit meinem zweiten Platz auf der ersten wirklich schweren Etappe könnte man meinen, es gäbe nichts zu meckern…



Sportlich gesehen trifft das auch absolut zu, aber es gibt doch noch andere Dinge, die mir persönlich am Herzen liegen. Und nach meinen doch schon zwei Monaten bei der Huansheng-Mannschaft denke ich, es ist Zeit, etwas Licht hinter die Kulissen scheinen zu lassen.


Leider entsprechen die Führung, die Wertschätzung und generell der persönliche Umgang unserer Teamleitung nicht den westlichen Erwartungen und Bräuchen. Es fühlt sich oft an, als wären wir Fahrer ein kleines, austauschbares Zahnrad in der großen Maschine, das bei Fehlfunktion ohne Zögern ersetzt wird. Sobald Fahrer oder Staffmitglieder den Erwartungen des Teamchefs nicht gerecht werden, wird, Vertrag und Versprechungen hin oder her, der nächste Flug Richtung Heimat gebucht. Ich nenne dieses Phänomen mittlerweile „Burn-Rate“, und diese Rate ist bei unserem Team leider besonders hoch.


Man stelle sich vor: In einer durchschnittlichen Profimannschaft gibt es pro Jahr vielleicht fünf Fluktuationen, die im Normalfall nach Vertragsende beziehungsweise vor der neuen Vertragsperiode stattfinden. Unter der Saison sind Fahrerwechsel und Neuverpflichtungen eher ungewöhnlich. In unserem Team gibt es keinen Fahrer, der länger als ein Jahr geblieben ist, und zusätzlich tritt ungefähr jede zweite Woche ein neuer Fahrer ein oder verlässt die Mannschaft.


Seit meiner zweimonatigen Teamzugehörigkeit wurde ich Teil eines freiwilligen Rücktritts aus dem Profisport, zweier fristloser Kündigungen, und dreimal wurde der Vertrag im gegenseitigen Einvernehmen wieder aufgelöst. Stellt euch das vor: Einige der Fahrer verdienen mit Radsport ihren Lebensunterhalt, haben Rechnungen zu bezahlen, Familien zu ernähren, und zack – von einem Tag auf den anderen stehen sie ohne Vertrag und Perspektive da…


Eduard, James, Richard, Ollie, Christian, Victor... Das sind nur die Namen, die ich miterlebt habe. Alle kamen und gingen, alle waren gute Freunde und noch bessere Persönlichkeiten…


Man weiß hier nie, was als Nächstes kommt; in einer Woche steht die Welt kopf… Spanischstunden mit Christian Pita, gemeinsame Pläne für ihn, mich und seine Freundin in China 2026 – vier Tage später liefert er nicht die erwartete Leistung und fliegt ohne ausbezahlte Boni oder versprochenes Rennrad nach Hause. Die Stimmung ist am Tiefpunkt, wir kehren zurück zum Teamhaus, die versprochene fünftägige Rundfahrt wird abgesagt, nur damit sie drei Tage später, und einen Tag vor dem Start des Rennens, plötzlich wieder stattfindet. „9 am Tomorrow we go“ heisst es am Vortag beim Abendessen. Zehn Stunden im Auto, die gewohnten 28 Grad und der Kampf mit der Hitze verwandeln sich in elf Grad und Dauerregen.


Trotzdem schaffen wir es in der fünftägigen Rundfahrt mit täglich ca. vierstündigen Transfers, eine Top-Teamleistung zu zeigen, Stimmung am Höhepunkt… aber halt – wir stehen noch mit Champagner auf dem Podest, da geht’s schon wieder weiter: Flugzeug startet in vier Stunden, keine Zeit für eine Dusche, 2,5 Stunden Transfer, Gepäckaufgabe, Sicherheitscheck und Abflug….


Aber genau diese Ungewissheit gibt einem auch eine gewisse Sicherheit: Es kommt, wie es kommen muss. Ich schulde hier niemandem irgendetwas, ich geniesse die Erfahrung, bin fröhlich und erfreue mich an dieser Zeit, die ich mit meinen Freunden erleben kann.


Ich plane nicht mehr in die Zukunft, lebe den Moment und die Gelegenheit, freue mich mit meinem Rennrad um die Wette zu fahren… Mir ist bewusst, dass der Tag kommen wird, an dem auch mein Rückflug vorverschoben wird. Aber bis dahin habe ich noch einiges zu erleben, und falls dieser Tag kommen sollte, weiss ich, dass das Leben immer irgendwo eine Tür offen hält…



PS: Sorry, dass ich in letzter Zeit nicht so gut erreichbar war, ist manchmal ein bisschen hektisch hier



 
 
 

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