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Newsletter Beitrag vom 08. Februar 2025

Autorenbild: Christoph JanssenChristoph Janssen

Am Abgrund zwischen Grenzerfahrungen, Risikobereitschaft und Egoismus


Wie ich schon des Öfteren angesprochen habe, bin ich fest davon überzeugt, dass Persönlichkeitsentwicklung außerhalb der Komfortzone stattfindet. Das ist auch ein Grund, weshalb ich diese tiefe Leidenschaft für den Radsport spüre und lebe.


Denn genau dieser Weg ins Ungewisse, das Überschreiten und Erweitern der eigenen physischen und psychischen Grenzen, treibt mich an. Ob das nun bergauf im Leistungstest bei Puls 196 und einem vom Laktat gelähmten Körper ist oder in der Abfahrt vom Albulapass bei knapp 100 km/h auf 28 mm breiten Reifen – spielt für mich keine große Rolle.


Doch wann ist die Grenze erreicht? Wann verwandelt sich der Drang nach eben diesen Grenzerfahrungen und dem damit erhofften persönlichen Wachstum in ein unvernünftiges, gar egoistisches Spiel mit dem Feuer?


Das sind wichtige Fragen, auf die ich keine endgültige Antwort habe. Doch noch entscheidender ist: Wer hat überhaupt das Recht, diese Fragen zu stellen und für mich zu beantworten?


Bin ich aus Rücksicht auf die Gefühle meiner Familie oder meines engen Umfelds verpflichtet, diese Risiken zu minimieren oder gar zu vermeiden? Denn sollte ich mich verletzen, ist die psychische Belastung und die Ungewissheit für meine Eltern, Teamkameraden, Freunde und Verwandte oft genauso schmerzhaft wie die Verletzung selbst.


Wie vieles im Leben lässt sich auch hier der gut schweizerische Kompromiss vermutlich nicht umgehen. Täglich werden wir mit diversen Risiken konfrontiert – sei es ein Ausrutscher in der Dusche, eine Unachtsamkeit im Straßenverkehr oder ein Fehltritt beim Fußballspiel. Einiges können wir beeinflussen, anderes kommt, wie es kommen muss.


Fragt man mich nach meiner persönlichen Meinung, so denke ich, dass wir lernen müssen, beeinflussbare Risiken bewusst wahrzunehmen. Sobald wir uns der Gefahren bewusst sind, können wir sie antizipieren und die Konsequenzen unseres Handelns besser einschätzen.


Was jedoch stets verbleibt, ist das Unbeeinflussbare. Was mache ich, wenn ein Autofahrer die Kurve schneidet, wenn plötzlich ein Reh aus dem Wald springt oder wenn die Straße durch spärlichen Streusalzeinsatz unerwartet gefroren ist?


Ich persönlich bin nicht bereit, mich in gesundem Maße auf all diese Eventualitäten einzustellen. Ich möchte mein Leben nicht hinter einer Mauer aus Vorsichtsmaßnahmen verbringen. Ich suche bewusst diese Grenzerfahrungen, reduziere dabei aber das beeinflussbare Risiko und lasse mich vom Unbeeinflussbaren nicht einschüchtern.


Bewusst bedeutet für mich auch, abzuwägen, wann und wie oft ich bereit bin, mich diesen Risiken auszusetzen. Ich suche nicht in jedem Training die Grenze, aber wenn die Bedingungen passen und Kopf sowie Körper bereit sind, scheue ich das Risiko nicht. Die Konsequenzen kenne ich – es wäre nicht das erste Mal, dass ein fremdverschuldeter Massensturz im Krankenhaus endet.


„Komfortzone verlassen heisst auch mal Dreck fressen.“


Dieser Satz beschreibt meine Ansicht passend – bei mir vielleicht nicht Dreck, sondern eher Asphalt. Das klingt vielleicht egoistisch, doch genau diese Einstellung hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin: ein Mensch, der seine Grenzen sucht, das beeinflussbare Risiko minimiert und das Unbeeinflussbare akzeptiert.


 
 
 

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